Landwirtschaft – Gewerbe: Tagungsbericht

Themenbereich
Land & Forst
Leader & Regionen

03.05.2017

Sachliche Information, erfolgreiche Einzelbeispiele, Bildungs- und Beratungsangebote, erfolgreiche Kooperationsmodelle und die Vernetzung der handelnden Akteurinnen und Akteure standen im Mittelpunkt der Tagung  „Landwirtschaft – Gewerbe: Gemeinsam stärker“, ausgerichtet vom Netzwerk Zukunftsraum Land in Kooperation mit Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer Österreich am Donnerstag, 27. April 2017 in Wien. In dieser Größenordnung und Ausrichtung hat es bisher noch keine gemeinsame Veranstaltung mit beiden großen Interessenvertretungen gegeben.

Landwirtschaft und Gewerbe sind tragende Säulen im ländlichen Raum. Die Schnittstellen zwischen beiden Sektoren bieten aber viele Reibungsflächen und sind Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Die Veranstaltung hatte die Aufgabe, die bestehenden zahlreichen Kooperationen sichtbar zu machen, rechtliche Möglichkeiten und praktische Anwendungsmodelle aufzuzeigen und die Vernetzung auf der menschlichen Ebene voranzutreiben.

Eröffnungsfilm: Im Rahmen einer Direktvermarktermesse, die vom Bildungshaus St. Klara, der Bezirksbauernkammer Vöcklabruck und der Wirtschaftskammer  Vöcklabruck organisiert worden ist, wurde vom Bezirks-TV des Hausruckviertels der Film „Regional ist genial“  aufgenommen und bei der Veranstaltung in Wien ausgestrahlt. Gastronomie, Tourismusbetriebe und Großküchen informierten sich bei den Direktvermarktern über die Angebote von regionalen Schmankerln und machten sich ein Bild vom Potenzial der regionalen Produktion.
 
Eröffnungsstatements: Der Geschäftsführer der Bundessparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer, Reinhard Kainz, hob den österreichischen Genusspatriotismus hervor,  der beiden Partnern Vorteile bringe. Nach Jahren der intensiven Konkurrenzierung wachse bei vielen Marktteilnehmern das Verständnis für einen gemeinsamen Weg mit Profilierung der österreichischen Herkunft aus bäuerlicher Hand und einer professionellen Produktionsweise mit hoher handwerklicher Qualität. Der stellvertretende Generalsekretär der Landwirtschaftskammer Österreich, Anton Reinl, wies auf die Abgrenzungsproblematiken genauso hin wie auf die bürokratischen Auflagen, die Kleinstbetriebe unverhältnismäßig beträfen. Am Beispiel Nährwertkennzeichnung wies er darauf hin, dass Kleinstrukturen anders zu behandeln seien wie Großstrukturen.

Wege ins Gewerbe und Kooperationsmodelle

In vier Kurzvorträgen wurden unterschiedliche Wege ins Gewerbe und Kooperationen mit dem Gewerbe vorgestellt.

Whisky-Erlebniswelt J. Haider – präsentiert durch Jasmin Haider-Stadler: Die mangelnde Zukunftsperspektive des kleinen Waldviertler Hofes nach dem EU-Beitritt war auch der Anstoß zur Gründung der Whisky-Erlebniswelt J. Haider in Roggenreith, die heute 65.000 Besucherinnen und Besucher jährlich zählt und gerade neue Exportmärkte aufbaut. Schritt für Schritt wurde der Betrieb vom kleinen Ab-Hof-Laden auf einen Betrieb mit 9 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgebaut.  

Gemeinsame Produktprämierungen – präsentiert durch Bundesinnungsmeister Willibald Mandl: In Oberösterreich haben sich Fleischerinnung und Landwirtschaftskammer 2008 auf gemeinsame Speck-, Bier- und Mostprämierungen für gewerbliche Betriebe und Direktvermarkter verständigt und den OÖ-Lebensmittelpreis Culinarix in Gold, Silber und Bronze kreiert.  Damit sollte einerseits den oberösterreichischen Top-Lebensmittelproduzenten Anerkennung für ihre erstklassige Qualität gezollt und andererseits die Wettbewerbsfähigkeit der Preisträger gesteigert werden. In Zusammenarbeit mit Vertretern aus der gewerblichen Wirtschaft, der Landwirtschaftskammer und Fachexperten werden die Prämierungen im Zwei-Jahres-Rhythmus organisiert. 

Verein „Troadbäcker“ - präsentiert durch Obmann Franz Fenzl: Im Jahr 2001 ist in Oberösterreich der Verein der Troadbäcker entstanden, in dem 90 Bauern, drei Mühlen und vier Bäcker zusammenarbeiten. Das Ziel war, in Kooperation auf Augenhöhe ein oberösterreichisches Qualitätsprodukt zu einem höheren Preis auf den Markt zu bringen und die Wertschöpfung in der Region zu fördern. Die wechselseitige Wertschötzung ist dabei wichtig – die Bauern freuen sich über hervorragende Endprodukte, und der Bäcker wohnt dort, „wo mein Getreide“ wächst.  

Die ALMO-Kooperationen – präsentiert durch Obmann Hans Pessl:  350 aktive ALMO-Bauern haben in der Steiermark ab 1988 eine Qualitätspartnerschaft ursprünglich mit zehn Fleischereibetrieben und seit Jahren vor allem mit dem Verarbeitungs- und Vermarktungsbetrieb Schirnhofer aufgebaut.  Aktuell werden jährlich ca. 4.500 Almochsen produziert, der Zulauf hält weiter an. Die Richtlinien wurden in enger Zusammenarbeit immer weiter verbessert – heute besteht Laufstall- und Weidehaltungspflicht, die GVO-freie Fütterung wurde erstmalig in Österreich umgesetzt. 

Unternehmerinnen- und Unternehmerkompetenz

Das Gründungs 1x1: präsentiert durch Petra Haslinger, Abteilung Mitgliederservice/ Gründerservice Wirtschaftskammer Wien (siehe Downloads rechts)

Unternehmerinnen- und Unternehmerkompetenz – präsentiert durch Bernhard Brait, LK-Unternehmerservice der LK-OÖ und Markus Novak, WIFI Team Bildungsmanagement, WKO:

Aufgrund des starken Veränderungsdrucks können viele bäuerliche Betriebe das erforderliche Betriebs- und Umsatzwachstum nur schaffen, wenn sie den Schritt ins Gewerbe wagen. Die Kosten auf einem landwirtschaftlichen Betrieb steigen durchschnittlich pro Jahr um ca. 900 Euro (Brait). In zehn Jahren ist das eine entscheidende Größe. Das LK-Unternehmerservice der  LK-Oberösterreich bietet daher interessierten Betrieben Einstiegsveranstaltungen an. Beim WIFI steht das Unternehmertraining im Vordergrund. Wenn Neugründer scheitern, liegt es zumeist nicht an den Fertigkeiten des Fachbereichs, sondern an den Unternehmerkompetenzen (Novak).

Einzelne Kooperationen – Rechtsformen und Erfahrungen (siehe Downloads rechts)

Erfolgsfaktoren für Familienbetriebe im ländlichen Raum – präsentiert durch Julia Süss-Reyes 
(siehe Downloads rechts)

Zusammenfassende Thesen – präsentiert durch Georg Keuschnigg, Netzwerk Zukunftsraum Land:

  1. Das Ziel ist, durch die Zusammenarbeit die Wertschöpfung in der Region zu steigern.
  2. Die Bündelung der Kräfte soll dazu beitragen, den Marktanteil zu steigern; Direktvermarktung und Lebensmittelhandwerk haben zusammen einen Marktanteil von nur mehr zehn Prozent.
  3. Viele Betriebe stehen vor der Entscheidung, neue Wege zu finden oder aufzugeben. Allein die jährlichen Mehrkosten pro Betrieb betragen 900 €.
  4. Die unterschiedlichen rechtlichen Möglichkeiten zur Gründung eines gewerblichen Betriebes, aber auch die unternehmerischen Ansprüche erfordern ein professionelles Beratungsangebot.
  5. Es gibt heute schon eine Vielzahl unterschiedlicher Kooperationen, ein intensiverer Erfahrungsaustausch wäre wünschenswert.
  6. Der Zeitfaktor spielt eine große Rolle; jeder Neubeginn braucht Jahre, bis das angestrebte Niveau erreicht ist, und die Betriebsentwicklung bringt ständig neue Anforderungen.
  7. Die junge bäuerliche Generation ist hervorragend ausgebildet und geht viel unvoreingenommener an die Herausforderungen heran als die ältere Generation, die von den Marktordnungen in Vor-EU-Zeiten geprägt war und vielleicht noch ist.

Mehr Wertschöpfung am Land durch den Schulterschluss von Landwirtschaft und Gewerbe. Mit dieser Formel fasst der Leiter des LE-Netzwerks Zukunftsraum Land, Georg Keuschnigg, das Ergebnis einer gemeinsamen Veranstaltung von Netzwerk, LKÖ und WKO gestern (27.4.) in Wien zusammen. Bäuerliche Kleinstbetriebe, die ins Gewerbe wachsen, bräuchten allerdings Rahmenbedingungen, die der spezifischen Situation der Höfe und den geringen Umsätzen von gewerblichen Mikrobetrieben entsprechen.