Rückblick auf den Expertinnen und Experten Workshop: Gesellschaftliche Anforderungen in Konsumverhalten und Zahlungsbereitschaft übersetzen, aber wie?

Themenbereich
Innovation
Land & Forst
Leader & Regionen
Umwelt & Klima

13.12.2021

Katharina Gangl - Institut für Höhere Studien
Die Intention-Behaviour-Gap oder Mind-Behaviour-Gap bedeutet, dass man sich etwas vornimmt, es dann aber nicht tut. Gerade im Umweltbereich haben wir Menschen besonders hohe Ansprüche, an die wir zumeist besonders fulminant scheitern. Die Standardökonomie spricht vom homo oeconomicus, welcher rational handelt und seinen Nutzen maximiert, aber der Mensch agiert nicht wie eine Maschine, maximiert nicht immer persönlichen Nutzen und hat nur begrenzte Rationalität. Insbesondere bei schnellen/unvorbereiteten Entscheidungen verlässt man sich auf Emotionen, Faustregeln oder Gewohnheiten. Die Verhaltensökonomie hingegen ist stark an die Psychologie und Soziologie orientiert, passt sich bestimmten Situationen besser an und ist somit näher an der Realität. In ihrem Zentrum stehen Experimente und Untersuchungen (beispielsweise Befragungen oder Brillen, die aufzeichnen, wo Menschen im Supermarkt hinschauen). Studien belegen, dass Menschen sehr wohl nachhaltiger handeln wollen, aber oft an der Umsetzung scheitern. Während beispielsweise knapp 50 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Studie die Frage „Ist Ihnen der Umstieg auf gesunde Lebensmittel, weniger Zucker und weniger Fett wichtig?“ mit „ja“ beantwortet haben, ernähren sich nur rund 15 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer tatsächlich gesund. Ursachen dieser Intention-Behaviour-Gap sind mangelnde Verfügbarkeit, Salienz, Gewohnheiten wie Automatismen bei Einkäufe, soziale Normen, stimmig empfundenes Preis-Leistungs-Verhältnis, etc. Eine Studie zum Thema Salienz zeigt, dass die Einführung einer Lebensmittelampel zu einem signifikant höheren Konsum gesunder Lebensmittel führt. Eine andere Studie zum Thema Verfügbarkeit liefert die Erkenntnis, dass die Erhöhung der Sichtbarkeit gesunder Snacks deren Verkauf signifikant erhöht. Eine weitere Studie zum Thema soziale Norm zeigt, dass ein Hinweis, dass die Mehrheit der vorherigen Kundinnen und Kunden nachhaltige Konsumentscheidungen getroffen haben, die nachhaltige Konsumentscheidung der Folgekundinnen und Folgekunden stark signifikant erhöht. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass insbesondere Maßnahmen direkt vor Ort, also dort wo die Konsumentscheidungen getroffen werden, am erfolgreichsten sind.

Oliver Meixner – Universität für Bodenkultur
Der Begriff „regional“ wird mitunter sehr unterschiedlich verwendet (beispielsweise bestimmter Kilometer-Radius oder Herkunftsland), und ist teilweise sogar rechtlich verankert (beispielsweise "geschützte Ursprungsbezeichnung", "geschützte geografische Angabe", "garantiert traditionelle Spezialität"). Direkte Erhebungen/Befragungen zur Zahlungsbereitschaft für regionale Lebensmittel sind aufgrund der Intention-Behaviour-Gap sowie der Wahl von sozial erwünschten Antworten eher unzureichend zur Messung der Zahlungsbereitschaft geeignet, da es aufgrund nicht stattfindender Ausgabetätigkeit zur einer Überschätzung der Zahlungsbereitschaft kommt. Die zentrale Fragestellung für die Praxis ist „Wie hoch kann der Mehrpreis für ein bestimmtes Attribut (beispielsweise Regionalität) sein, wenn Gesamtpreis = Basispreis + Mehrpreis für ein bestimmtes Attribut ist?“. So zeigt eine Studie der BOKU aus 2020 zur Zahlungsbereitschaft für das Attribut Bio, dass intrinsische Motive wie Gesundheit und extrinsische Motive wie Umweltbewusstsein dominieren, aber auch der Einkaufsort ist wichtig (beispielsweise höherer Konsum von Biolebensmitteln am Bauernmarkt als im Lebensmitteleinzelhandel). Soziodemographische Merkmale (Alter, Bildung, Geschlecht, Einkommen) hingegen scheinen keinen eindeutigen Einfluss auf den Konsum von Biolebensmitteln zu haben. Das Thema Regionalität wurde jedoch im Gegensatz zu Bio bisher noch nicht so intensiv beforscht. Bisherige Studien zur Regionalität zeigen, dass ein möglichst hohes Wissen über das Produkt die wichtige zu schaffende Voraussetzung darstellt und dass die Sicherung regionaler Arbeitsplätze sowie die Unterstützung der regionalen Wirtschaft noch weit vor umwelt- und klimarelevante Aspekte als Motiv dienen. Auch Konsumenten-Ethnozentrismus und Preissensibilität sind ausschlaggebende Motive. Die Vergleichbarkeit bestehender Studien zur Zahlungsbereitschaft für regionale Lebensmittel ist aufgrund unterschiedlicher methodischer Herangehensweisen herausfordernd, aber es zeichnet sich ein Trend zur höheren Zahlungsbereitschaft ab, wenn auch mit unterschiedlich starker Ausprägung.

Werner Habermann - Kalb Rosé
Die Erzeugergemeinschaft Gut Streitdorf hat sich zum Ziel gesetzt, durch die Etablierung von Qualitätsprogrammen, wie die Kalb Rosé Mast, erfolgreiche Vermarktungsketten vom Produzenten bis zum Konsumenten zu schaffen. In den letzten 30 Jahren ist das Produktionsvolumen an österreichischem Kalbfleisch, insbesondere durch den Verlust des Außerhaus-Verzehrs an holländisches Kalbfleisch, auf ein Drittel zusammengeschrumpft. Derzeit hat Österreich eine Kalbfleisch-Eigenversorgung von 40 Prozent, es werden rund 40.000 Kälber (in erster Linie nach Italien und Spanien) exportiert und 85.000 Kälber (in erster Linie aus Holland) importiert. Zentrales Ziel des Qualitätsfleischprogramms Kalb Rosé ist es holländisches Kalbfleisch eins zu eins zu verdrängen und dabei Tiertransporte zu reduzieren, CO2-Emissionen einzusparen und qualitativ hochwertiges regionale Kalbfleisch anzubieten. Bisher konnten beispielsweise 18 Prozent der Kälberexporte reduziert werden. Grundlage ist das AMA-Gütesigel. Zentrale Herausforderungen sind, den Kunden zu erklären, warum heimisches Kalbfleisch nicht so hell wie bisher gewohnt ist, sowie die Ganztiervermarktung und die Mengenverfügbarkeit, wenn man Produkte österreichweit anbieten will. Der zentrale Mehrwert für teilnehmende Landwirte ist eine zusätzliche Einkommensmöglichkeit durch Abnahmegarantie (Mengen- und Preisgarantie). Das Bewusstsein der Gesellschaft für Qualität hat sich - nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie - in den letzten Jahren stark entwickelt.

Andreas Panhuber - Streuobstwerkstatt
2019 wurden die Initiative „Streuobstweisen schützen und nützen“ und das Unternehmen „Streuobstwerkstatt“ gegründet. Ausschlaggebend dafür war der Wunsch von und in der Landwirtschaft im Vollerwerb leben zu können. Auf die Frage was er seinem Kunden – dem Handel – bieten kann, kam Panhuber zur Idee der Schaffung einer authentischen Marke. Als zusätzliches Attribut zum Preis dient nicht nur, dass die Produkte ausschließlich von oberösterreichischen Bio-Betrieben stammen, sondern darüber hinaus auch der Fokus auf alte Obstsorten, Umwelt- und Naturschutz sowie eine Marke, bei der der Konsument immer zu 100 Prozent weiß von welchem Landwirt sein Produkt kommt. Die Marke „Streuobstwerkstatt“ gehört Panhuber, wird aber exklusiv nur bei Unimarkt angeboten. Neben dieser exklusiven Zusammenarbeit mit einem Handelspartner waren auch das Eingehen von Kooperationen mit anderen Streuobst-Betrieben, keine Nutzung von Zwischenhändlern sowie der Marketingfokus auf das Nischenthema Biodiversität (inklusive Zurverfügungstellung von Content wie Bilder, Geschichten, Baumpatenschaften, etc.) wichtige Erfolgskriterien. Vorgabe von Unimarkt war nur, dass sich das Produkt am Point of Sale behaupten muss, den Preis konnte die Streuobstwerkstatt selbst festlegen. Derzeit werden 64 Unimarkt-Filialen mit 16 verschiedenen Produkten von 11 Betrieben beliefert. Mit der Initiative „Streuobstwiesen schützen und nützen“ werden zudem Streuobst-Wiesenkisterl an Unternehmen angeboten, die diese Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anlassbezogen schenken können.

Florian Hütthaler – Hütthaler Hofkultur
Die Grundidee war es der Konsumentenforderung nach mehr Tierwohl gerecht zu werden und dennoch preislich nahe am bisherigen konventionellen Preis zu bleiben. 2014 wurde das erste Tierwohlprojekt gestartet und 2016 folgende Grundsätze in den Richtlinien festgeschrieben: 100 Prozent mehr Platz, ständiger Auslauf, Verbot von Eingriffen wie Schwanzkupieren, gentechnikfreie Fütterung, 100 Prozent aus Österreich, getrennte Fress- und Liegebereiche mit Einstreu, maximal 4 Stunden Transportzeit, und so weiter. Mit 2017 wurde Hütthaler Hofkultur im Lebensmitteleinzelhandel positioniert und seit 2019 gibt es einen gläsernen Schlachthof mit gehobenem Tierwohlstandard, wo derzeit wöchentlich 900 Schweine geschlachtet werden. Derzeit gibt es 39 landwirtschaftliche Partnerbetriebe mit Abnahmegarantie bis 2030, Börsenabsicherung von mindestens € 1,4 pro Kilo sowie Preisaufschlag von rund € 50,- pro Schwein. Auf der Abnahmeseite (Handelsketten und Systemgastronomie) ist mit jedem Kunden eine Ganztierabnahme vereinbart. Als zentrale Erfolgskriterien sind die weitreichenden und transparenten Tierwohlkriterien entlang der gesamten Wertschöpfungskette, die Zusammenarbeit mit regionalen Landwirtinnen und Landwirten auf Augenhöhe (unter anderem halbjährliche Stammtische), faire Bezahlung mit Abnahmegarantie auf allen Ebenen, vielfältiges Produktsortiment „nose to tail“, konsequente und transparente Umsetzung (unter anderem Name des Bauern am Frischfleisch), Kooperationen mit Wissenschaft und Non-Govermental-Organisations, umfangreiche Werbekampagnen sowie rasche Umsetzung mit nachhaltigem Weitblick zu nennen. Weiters wurde mit ClimatePartner der CO2-Fußabdruck von Hütthaler Hofkultur ermittelt, welcher 36 Prozent unter dem konventionellen Durchschnitt bei Schweinefleisch liegt.

Erfolgskriterien für die Übersetzung gesellschaftlicher Anforderungen in Konsumverhalten und Zahlungsbereitschaft

Arbeitsgruppe 1 (Fokus auf Hütthaler Hofkultur)
- Das Beispiel spielt sich in einer Nische mit konkreten Zielgruppen ab, die aber für die Familie Hütthaler fast 50 Prozent des Umsatzes ausmacht.
- Der Familienbetrieb Hütthaler hat die gesamte Kette vom Landwirt bis zum Lebensmitteleinzelhandel ins Programm eingebunden, andere Player wie beispielsweise die Schweinebörse sind mit der Herausforderung konfrontiert, dass sie mit vielen unabhängigen Playern verhandeln müssen/müssten.
- Das Modell wird schrittweise entwickelt und beruht über die gesamte Kette auf Verträgen.
- Obwohl der (Schweine-)Fleischkonsum sinkt, bleibt die Menge an Fair-Hof-Fleisch konstant, getreu dem Motto „Lieber weniger, dafür was G’scheits!“.
Die Zahlungsbereitschaft entsteht unter anderem durch eine gute begleitende Kommunikation (Was heißt Tierwohl? ohne zusätzliche Standards zu schaffen) und einen überschaubaren Mehrpreis für den Konsumenten (ca. 30 Prozent gegenüber konventionellem Schweinefleisch).
- Aktuell geht es nur über das Thema Tierwohl, andere Qualitätsaspekte (zum Beispiel Fleischmarmorierung) sind (noch) außen vor.
- Die teilnehmenden Betriebe mussten in passende Ställe investieren, diese sind aber im Fall des Falles in Richtung Bio ohne weitere Investitionen nutzbar.

Arbeitsgruppe 2 (Fokus auf Streuobstwerkstatt)
- Partnerschaft auf Augenhöhe entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
- Marketing mit ehrlichen Bildern der landwirtschaftlichen Produktion, die den Konsumentinnen und Konsumenten im Kopf hängen bleiben. Man kann den Konsumentinnen und Konsumenten die Wahrheit zumuten und soll nicht romantisieren.
- Möglichst frühe Bildungs- und Informationskontakte, beispielweise bereits bei Kindern über ein Fach Ernährungslehre in der Unterstufe, da die Konsumentinnen und Konsumenten von morgen sind.
- Stärkere Forcierung der Beratung von Köchen in Gastro und Gemeinschaftsverpflegung zu den Themen Tierwohl, Nachhaltigkeit und Regionalität.
- Soziale Normen langfristig verändern damit der Kauf von Tierwohl, Nachhaltigkeit, Regionalität und Saisonalität zur Norm wird sowie Wertschätzung von Lebensmitteln stärken und eventuell auch politisch ansetzen, um diesen Produkten im Lebensmitteleinzelhandel einen „besseren“ Platz einzuräumen.
- Klare Begleitmaßnahmen am Point of Sale, wobei Herkunftskennzeichnung, Tierwohlkennzeichnung und Ampelsystem Gefahr laufen können die Konsumentinnen und Konsumenten zu überfordern.

Arbeitsgruppe 3 (Fokus auf Kalb Rosé)
- Ökologische Kriterien entwickeln und am Point of Sale für Produkte einsetzen, beispielsweise Ampelsystem mit Regionalitätskriterien oder CO2 Ausstoß.
- Preispolitik: Preise bottom-up bestimmen und einen Mindestpreis für Produkte einführen.
- Marktpositionierung: Nutzen von Alleinstellungsmerkmalen (unique selling proposition) zur Abgrenzung von Konkurrenten oder nutzen von Lücken/Bedarf mit innovativen Ideen.
- Marke erschaffen: Eine starke Marke schaffen und diese durch Marketingmaßnahmen stärken sowie Synergieeffekte durch Kooperationen nutzen und gegenseitig profitieren.
- Türen öffnen: Landwirtinnen und Landwirte sollen ihr Hoftüren öffnen und den Konsumentinnen und Konsumenten authentisch und transparent Informationen vermitteln und dadurch Bewusstseinsbildung anregen, denn Gesichter und Bilder hinter den Produkten erzeugen bei Konsumentinnen und Konsumenten Emotionen.
- Wünschen zuvorkommen: Innovative Produkte anbieten, die Relevanz und Salienz für Produzenten haben, ohne dass sie es schon vorher wissen zum Beispiel der Verkauf der Streuobst-Wiesenkistl zur Erhaltung von Streuobstwiesen und Pflanzung von neuen Streuobstbäumen Weihnachtsgeschenk von Unternehmen an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
- Präsenz vor Ort: persönliche Überzeugungsarbeit vor Ort im Handel, um die Marktleiter abzuholen und für das Produkt/Marke zu begeistern, Platzierung im Handel und der persönliche Kontakt zu den Kooperationspartnern als wichtiger Erfolgsfaktor.