Partizipationsprojekt und Wissenstransfer zur verlängerten Säugezeit auf Bioschweine-Betrieben
In der Bioschweinehaltung erfolgt das Absetzen der Ferkel von der Sau frühestens nach der gesetzlichen Mindestsäugezeit von 40 Tagen. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich die Ferkel jedoch in einer sensiblen physiologischen Phase. Sie sind krankheitsanfälliger und leiden oftmals an dem sogenannten Absetzdurchfall, der mit Antibiotikaeinsatz behandelt werden muss. Das Unwohlsein der Tiere drückt sich auch in Leistungseinbußen, wie zum Beispiel beeinträchtigtem Wachstum aus und ist für Bäuerinnen und Bauern deshalb ökonomisch relevant. Das Projekt Verlängerte Säugezeit wollte die positiven Effekte und die Praxistauglichkeit einer Verlängerung der Säugezeit auf mindestens 49 Tage demonstrieren und den Biobäuerinnen und Biobauern Beratungsunterlagen zur Verfügung stellen. Das Konzept der verlängerten Säugezeit zeigt einen Lösungsansatz auf, wie die Probleme rund um das Absetzen der Ferkel reduziert und das Wohlergehen sowie die Gesundheit der Ferkel verbessert werden können.
Was macht dieses Projekt besonders nachahmenswert?
- Erfolgreiche Zusammenarbeit der heterogen zusammengesetzten Operationellen Gruppe ARGE Verlängerte Säugezeit
- Evaluierung der Effekte der verlängerten Säugezeit auf das Wohlergehen der Ferkel, Ferkelgesundheit und Behandlungsinzidenz sowie Auswirkungen auf die Sauen und die ökonomischen Ergebnisse
- Erstellung von praxisnaher Beratungsunterlagen und Nutzung weiterer Kommunikationskanäle (Vorträge, Fachmedien, Seminar) zur österreichweitern Verbreitung der Projektergebnisse
Darum war es wichtig, das Projekt umzusetzen
In der Bioschweinehaltung erfolgt das Absetzen der Ferkel von der Sau frühestens nach der gesetzlichen Mindestsäugzeit von 40 Tagen Säugezeit beziehungsweise meist aufgrund des Wochenrhythmus nach 42 Tagen. Zu diesem Zeitpunkt ist das Verdauungssystem der Ferkel jedoch noch nicht auf feste Nahrung eingestellt, der Nährstoff- und Energiebedarf kann daher durch die feste Nahrung nicht gedeckt werden. Zudem ist ein Ferkel mit sechs Wochen in einer sensiblen physiologischen Phase, ein sogenanntes immunologisches Tal durch Verlust der durch die Sau vermittelten passiven Immunität. Viele Betriebe haben daher beim Absetzen der Ferkel Probleme, die das Wohlergehen, die Tiergesundheit und die Leistung der Ferkel stark beeinträchtigen können. Das größte Problem stellt der sogenannte Absetzdurchfall dar. In der Ferkelaufzucht ist Absetzdurchfall einer der Hauptgründe für den Einsatz von Antibiotika, denn der Durchfall beeinträchtigt das Wohlergehen der Ferkel sehr. Die Umsetzung einer verlängerten Säugezeit von der Theorie in die Praxis erscheint auf den ersten Blick einfach, es gibt allerdings mehrere Hemmnisse, weshalb der Großteil der Bäuerinnen und Bauern es nicht oder wenn nur zaghaft umsetzen. Herausforderungen sind:
- Gestaltung der Umstellungsphase: Die Verlängerung der Säugedauer muss sorgfältig geplant werden, da die Abferkelbuchten dementsprechend länger belegt sind und nachfolgende Sauen erst später umgestallt werden können.
- Betriebsindividuelle Entwicklung der Raumkonzepte. Auch könnte es zu eventuell häufiger auftretender Laktationsrausche kommen (das heißt, Sauen werden während der Säugezeit brünstig und könnten gedeckt oder künstlich besamt werden) oder nicht jede Sau (zum Beispiel Linie oder Genetik) in Österreich für eine verlängerte Säugezeit geeignet sein.
- Unsicherheiten beim Betriebserfolg: Bislang fehlte eine ökonomische Bewertung der verlängerten Säugezeit als unterstützende Information für die Bäuerinnen und Bauern.
Ziele des Projekts
- Darstellung der Arbeitsschritte für die Etablierung eines neuen agrarökologischen Konzepts in der (Bio-)Schweinehaltung
- Verbesserung des Wohlergehens und Gesundheit der Tiere
- Nachhaltige Reduktion des Arzneimitteleinsatzes
- Reduktion des Betriebsrisikos aufgrund von Behandlungen der Tiere.
- Ausbau der Zusammenarbeit zwischen Forschung, Praxis und Beratung durch die Erarbeitung verschiedener Methoden (zum Beispiel gemeinsames Bearbeiten partizipativ entwickelter Themen auf teilnehmenden Betrieben in Anlehnung an das Konzept „Stable school“, unkomplizierte Kontaktmöglichkeiten zwischen WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen, um bei unerwarteten Ereignissen adäquat reagieren zu können et cetera).
Maßnahmen um die Projektziele zu erreichen
- Betriebsbesuche
- Erhebung des Ist-Zustandes
- Erstellung von Betriebsmappen zur Umsetzung der verlängerten Säugezeit
- Umsetzung der verlängerten Säugezeit auf den Praxisbetrieben, laufende Erhebung relevanter Parameter
- Regelmäßige Treffen der Operationellen Gruppe
- Regelmäßige Kommunikation zwischen den Treffen
- Workshops der Operationellen Gruppe und allen Projektbetrieben
- Rege Diskussionen bezüglich Auswertung, Ergebnisse und sinnvoller Umsetzung der Projektergebnisse in ansprechende Beratungsunterlage
Ergebnisse und Wirkungen quantitativ
Das EIP-AGRI-Projekt „Verlängerte Säugezeit auf Bioschweinebetrieben“ zeigt, dass die Verlängerung der Säugezeit auf zum Beispiel 63 Tage geeignet ist, gesunde und lebenswichtige Ferkel zu züchten.
- Der Platzbedarf pro Zuchtsau bleibt unverändert.
- Die Raumkapazität begrenzt die Säugezeit (SZ):
- 3-Wochen-Rhythmus (WR): max. 56 Tage SZ
- 4-WR: max. 49 Tage SZ
- 6-WR: max. 77 Tage SZ
- kontinuierlich mit Abferkelställen für 35 % der Sauen: max. 49-56 Tage SZ
- Die Sauen müssen sich bei der Geburt in guter körperlicher Verfassung befinden. Steuerung über Futter (Heu, Silage).
- Sauen brauchen immer frisches Wasser.
- Ein gutes Besamungsmanagement kann die Umrauscherquote unter 10 % halten.
- Das Futter der Ferkel muss so nah wie möglich an der Sauenfütterungsstelle angeboten werden.
- Das Futter der Ferkel muss wohlschmeckend und bedarfsgerecht sein und sobald wie möglich nach der Geburt angeboten werden (spezielle Ferkelstarter).
- Die Ferkelnester (zirka ein Quadratmeter pro Wurf) müssen entsprechend ausgelegt sein. Für eine gute Akzeptanz sollte der Temperaturunterschied zwischen der Sauenliegefläche und dem Nest hoch sein (mindestens 10°C).
- Zusätzliche Stressfaktoren sind vor allem im Zeitraum des Absetzens zu vermeiden.
- Zuerst die Sau aus dem Stall umstallen und die Ferkel für eine weitere Woche im gewohnten Abteil belassen.
- Die Tränkeeinrichtungen soll die gleiche Bauart wie im Abferkelstall aufweisen.
- Das angebotene Nest soll warm, trocken und zugfrei sein.
- Für Impfungen gilt: Prävention ist besser als Behandlung.
- Besonders wichtig: Penible Hygiene im Stall!
- Wirtschaftlich hängt der Erfolg einer verlängerten Saugzeit von vielen Faktoren ab. Ein wirtschaftlicher Vergleich von 42 und 49 Tagen Saugzeit pro Sau und Jahr zeigt fast die gleichen Ergebnisse.
Ergebnisse und Wirkungen qualitativ
Die mittlere Säugezeit der Bio-Ferkel betrug im Projekt zwischen 49 und 61 Tagen.
Körperkondition der Sauen: Es besteht kein eindeutiger Zusammenhang zwischen längerer Säugedauer und Körperkondition der Sauen. Einige Sauen legten Gewicht zu. Die Zitzengesundheit blieb unverändert.
Futterverbrauch: Starke Varianz in der Praxis. Bei etwa 5 Kilogramm Futtereinsparung pro Ferkel sank der Kostenbeitrag pro Sau pro Jahr um rund 50 Euro.
Tiergesundheitskosten: 5 % Einsparungspotenzial, da 95 % der Kosten auf Routinebehandlungen (Impfung, Kastration) entfallen.
Betriebswirtschaftlich relevante Veränderungen: insgesamt eher begrenzt; wirtschaftlich lohnend nur bei spezifischen Bedingungen (zum Beispiel hohe Futterersparnis oder Reduzierung von Verlusten)
Mehrwert durch Vernetzung
Betriebe, Beratung, Wissenschaft und Verwaltung arbeiteten gemeinsam an Lösungen – dies wurde aktiv durch EIP-AGRI-Förderstruktur unterstützt. Wissen wurde in Workshops, Betriebsbesuchen und Erfahrungsberichten wechselseitig geteilt.
Beteiligte Landwirtinnen und Landwirte wurden zu Co-Forscherinnen und Co-Forschern: Sie halfen mit, Maßnahmen zu testen, zu bewerten und anzupassen.
Innovation
Technologische und produktspezifische Innovationen
- Entwicklung neuer Konzepte zur Haltungsoptimierung bei längerer Säugezeit Verbesserte Abferkelbuchten für längeren Mutter-Ferkel-Kontakt. Flexible Umstallkonzepte, bei denen Sauen und Ferkel länger zusammenbleiben. Entwicklung von Strategien zur Anpassung der Fütterung an verlängerte Säugezeiten, zum Beispiel proteinreduzierte Rationen für säugende Sauen.
- Produktentwicklung im Sinne besserer Tiergesundheit: Gesündere Ferkel mit stärkerem Immunsystem, was zu reduzierter Medikation und verbesserter Lebensfähigkeit führt. Grundlage für mögliche zukünftige Zuchtlinien oder Vermarktungslinien von Bioschweinen mit längerer Muttersäugezeit (Produktdifferenzierung!).
Prozessinnovationen
- Integrierte Managementprozesse Die Projektteilnehmer haben arbeitswirtschaftlich tragbare Prozesse entwickelt, um längere Säugezeiten ohne zusätzliche Belastung im Betrieb umzusetzen.
- Monitoring und Datenerfassung Einführung und Testung eines praxisnahen Monitoringtools für Säuge- und Absetzzeiten, Gesundheitszustand, Futterverbrauch und Tierverluste. Die Datenerhebung führte zur datenbasierten Entscheidungsfindung und stärkte damit das Farmmanagement.
Soziale Innovationen
- Neue Formen der Zusammenarbeit Die Beteiligten arbeiteten gemeinsam an Lösungen – dies wurde aktiv durch EIP-AGRI-Förderstruktur unterstützt. Wissen wurde in Workshops, Betriebsbesuchen und Erfahrungsberichten wechselseitig geteilt. Beteiligte Landwirtinnen und Landwirte wurden zu Co-Forscherinnen und Co-Forschern: Sie halfen mit, Maßnahmen zu testen, zu bewerten und anzupassen.
- Verbesserung der Lebensqualität – auch auf Menschenseite – durch stabilere Ferkelgesundheit bei längerer Säugezeit: weniger Stress beim Absetzen, weniger Behandlungen – das bedeutet: Weniger Arbeitsbelastung, bessere Planbarkeit. Höhere Zufriedenheit bei Betriebsleitenden, weil tierethische Ziele (artgerechte Haltung) besser erfüllt werden.
Einbeziehung von jungen Menschen
Mehrere teilnehmende Betriebe wurden von Junglandwirtinnen und Junglandwirten oder Betriebsnachfolgerinnen beziehungsweise Betriebsnachfolgern geführt oder mitgeführt. Junge Betriebsleitende sind häufiger offen für:
- Innovative, nachhaltige Betriebsmodelle
- Tierwohlorientierung als Zukunftsstrategie
- Gezielte Kooperation mit Forschungseinrichtungen
Einbeziehung von Frauen
Frauen waren auf mehreren Ebenen am Projekt beteiligt: Im Projektteam des FiBL selbst arbeiteten Frauen in leitenden Funktionen und der Projektkoordination. Auch auf Betriebsebene waren Landwirtinnen beteiligt – insbesondere auf Familienbetrieben, wo die Betreuung der Schweinehaltung häufig arbeitsteilig erfolgt. Die Projektkommunikation (zum Beispiel bei Veranstaltungen oder in Praxisvideos) achtete sichtbar darauf, weibliche Stimmen und Erfahrungsberichte einzubeziehen.
Einbeziehung von Minderheiten (Inklusion)
In diesem Projekt wurden Angehörige von Minderheiten nicht explizit adressiert.
Die wichtigsten Lernerfahrungen
Das Projekt „Verlängerte Säugezeit auf Bioschweinebetrieben (Projekt in EIP-AGRI)“ hat praxisnah gezeigt, dass eine Säugezeit von bis zu 63 Tagen tiergesundheitlich sinnvoll, arbeitswirtschaftlich machbar und unter bestimmten Bedingungen auch betriebswirtschaftlich vertretbar ist. Die Umsetzung brachte nicht nur neue Erkenntnisse über tierwohlorientierte Haltungsstrategien, sondern auch über die Zusammenarbeit zwischen Praxis, Forschung und Beratung.
Die folgenden vier Themenfelder fassen die wichtigsten Lernerfahrungen zusammen:
- Tiergesundheit und Produktionsleistung profitieren – aber nicht automatisch die wichtigsten agrarischen Erkenntnisse zeigen: Eine verlängerte Säugezeit kann zu gesünderen, robusteren Ferkeln führen – mit besserer Lebendmasseentwicklung und stabilerer Gesundheit. Auch die körperliche Verfassung der Sauen blieb unter praxisgerechten Bedingungen erhalten. Dennoch sind die Vorteile nicht automatisch gegeben. Ein zentraler Lernpunkt ist, dass die Haltungssysteme, das Management und die Fütterung sorgfältig angepasst werden müssen, um die positiven Effekte zu erreichen. Die Säugezeit allein ist kein Garant für gesunde Tiere – sie wirkt nur im Zusammenspiel mit einem gut organisierten Gesamtsystem.
- Erfolgsfaktor: Partizipation und echter Praxisbezug Ein entscheidender Erfolgsfaktor war die enge Einbindung der Praxisbetriebe. Die Landwirtinnen und Landwirte wurden nicht nur befragt, sondern als „Co-Forschende“ aktiv in Erprobung, Datenerhebung und Reflexion einbezogen. Das hat die Akzeptanz und Praxistauglichkeit der Ergebnisse stark erhöht. Durch diesen partnerschaftlichen Ansatz konnten Maßnahmen flexibel angepasst werden – zum Beispiel bei Umstellungen von Abferkelrhythmen, Fütterung oder Stallnutzung. Für ähnliche Projekte empfiehlt sich eine klare Co-Kreation statt Top-down-Entwicklung, besonders in sensiblen Bereichen wie Tierhaltung.
- Organisatorischer und wirtschaftlicher Realismus ist entscheidend: Nicht alle Betriebe konnten die Säugezeit auf Anhieb verlängern – teils aus arbeitswirtschaftlichen oder baulichen Gründen. Hier zeigte sich: Für eine flächendeckende Umstellung sind angepasste Zeitplanung, Stallkonzepte und Rhythmen notwendig, damit der Mehraufwand nicht zu Lasten der Betriebsführung geht. Zudem zeigte die ökonomische Auswertung, dass sich die längere Säugezeit wirtschaftlich nur bei bestimmten Voraussetzungen lohnt, etwa bei Futtereinsparung, geringeren Verlusten oder stabiler Sauengesundheit. Pauschale Empfehlungen sind daher nicht möglich – betriebsindividuelle Lösungen sind nötig.
- Ungeplante Einflüsse und soziale Lerneffekte: Ein nicht planbares, aber prägendes Element war der offene Austausch unter den Betrieben – etwa in Workshops, Feldtagen oder im Peer-to-Peer-Lernen. Viele Landwirtinnen und Landwirte betonten, wie wichtig der gegenseitige Erfahrungstransfer war – nicht nur für fachliche Fragen, sondern auch zur Bestärkung in ethischen Haltungsentscheidungen.
Hier liegt eine wichtige soziale Lernebene: Die verlängerte Säugezeit wurde nicht nur als technische Maßnahme verstanden, sondern auch als Teil eines grundsätzlich anderen Tierverständnisses, das viele junge oder weibliche Betriebsleitende besonders mittragen. Zudem hatte die Projektlaufzeit mit den Herausforderungen der COVID-19-Pandemie zu kämpfen, was direkte Treffen zeitweise einschränkte. Die rasche Umstellung auf digitale Austauschformate und individualisierte Beratung war erfolgreich, zeigt aber: Projekte dieser Art sollten ausreichend flexibel in der Methodenwahl bleiben, um auf äußere Umstände reagieren zu können.
Übertragbarkeit
Die Projektergebnisse lassen sich auf (Bio-)Schweinebetriebe mit vergleichbaren Voraussetzungen in der Europäischen Union unmittelbar übertragen.