Berggebiet: Neue Haltungssysteme im Test

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17.02.2021

Im Berggebiet von Westösterreich praktizieren bis zu 40 Prozent der Milchviehbetriebe eine Kombinationshaltung aus Weidehaltung, Auslauf und vorübergehender Anbindehaltung. Von Milchverarbeitungsbetrieben, vom Lebensmittelhandel und von Tierschutzvereinen wird zunehmend Druck auf diese Betriebe ausgeübt, auf Laufstallhaltung umzustellen: höhere Markenmilchzuschläge sollen nur mehr Laufstallbetriebe erhalten, es werden Fristen für die Laufstallumstellung gesetzt und bei Kombinationshaltung ist der tägliche Auslauf ab sofort vorgeschrieben.

Ein Stallumbau stellt kleine Milchviehbetriebe im beengten Berggebiet vor große finanzielle, räumliche und betriebswirtschaftliche Herausforderungen. Zahlreiche bergbäuerliche Betriebe sind durch diese Anforderungen in ihrer Existenz bedroht. Ihre Ausgangssituation, die Anzahl der Kühe, die Hanglage und die klimatischen Bedingungen sind ungünstig. Auf begrenztem Raum ist es nicht immer möglich, einen Laufstall zu bauen. Es gibt bisher auch keine kostengünstigen, erprobten Standardlösungen - es muss betriebsindividuell geplant und gebaut werden.

Die Europäische Innovationspartnerschaft für landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit (EIP-AGRI) unterstützt mit dem Projekt ,,Berg-Milchvieh‘‘ die Zusammenführung von wissenschaftlichem Fachwissen und Erfahrungswissen der Praktikerinnen und Praktiker. Gemeinsam werden innovative Baulösungen für Milchviehbetriebe im Berggebiet erarbeitet und deren Auswirkungen auf Tierwohl, Emissionspotential und Betriebswirtschaft evaluiert. Für Betriebe, für die ein Stallumbau nicht möglich ist, werden zusätzlich Alternativen zur Milchviehhaltung im Berggebiet entwickelt.
Das Projekt liefert damit nicht nur einen Beitrag zur Modernisierung und zur Verbesserung der Tierhaltung. Es hat auch eine besondere wirtschaftliche Bedeutung, da viele Betriebe derzeit vor großen Herausforderungen in Hinblick auf den Absatzmarkt stehen und ihre Zukunft abgesichert werden muss.

Das Projekt befindet sich derzeit in Umsetzung und Netzwerk Zukunftsraum Land führte dazu mit Projektkoordinatorin Anna Herzog das folgende Gespräch:

Frau Herzog, welchen Herausforderungen stehen Landwirtinnen und Landwirte in Bezug auf die Weiterentwicklung der Haltungssysteme für eine zukunftsträchtige Milchviehhaltung im Berggebiet gegenüber?
Anfangs stand der drohende Verlust an Absatzmöglichkeiten für viele kleinstrukturierte Milchviehbetriebe im Berggebiet im Vordergrund, die aufgrund der noch praktizierten Kombinationshaltung als nicht mehr zeitgemäß angesehen wurden. Mit Inkrafttreten der neuen EU-Bio-Verordnung ab 2022 kommt für biologisch wirtschaftende Betriebe eine zusätzliche Herausforderung dazu. Künftig müssen alle Pflanzenfresser täglich geweidet werden, wann immer dies witterungs-, saisonal- oder bodenbedingt möglich ist. Für Betriebe in beengter Hoflage und ohne angrenzende Weidemöglichkeit ist dies mitunter mit hohem Aufwand verbunden oder nicht praktikabel.

Worin sehen Sie konkretes Potenzial in der Umsetzung innovativer Haltungssysteme für eine zukunftsträchtige Milchviehhaltung im Berggebiet?
Die in Österreich noch weit verbreitete Kombinationshaltung kann weiterhin eine zukunftsfähige Haltungsform sein, sowohl in puncto Tierhaltung als auch in Bezug auf Nachhaltigkeit. Beispielsweise gelten für Biobetriebe mit Anbindehaltung ab 2022 wesentlich striktere Weidevorgaben als für Betriebe mit Laufstall und Auslauf. Weidehaltung ist dem Tierwohl zuträglich und bietet Vorteile für die Minimierung des Emissionspotentials. Beide Faktoren zeichnen in Zeiten zunehmender Nachfrage nach tierwohlfreundlicher Produktion und in Hinblick auf den Klimawandel einen zukunftsfähigen Betrieb aus.
Sie koordinierten das Projekt „Berg-Milchvieh“. Welche wesentlichen Erkenntnisse oder Empfehlungen aus dem Projekt konnten Sie bereits ableiten? Welche ersten Schritte sollten unternommen werden, um auf Laufstallhaltung umzustellen?
Auch für die Kombinationshaltung gibt es tierwohlfreundliche und emissionsmindernde Baulösungen. Stallbaufirmen bieten zumeist keine kosteneffizienten Bau- und Umbaulösungen für Kleinbetriebe im Berggebiet an. Durch ein hohes Maß an Eigenleistung und die Kooperation mit örtlichen Handwerksbetrieben haben die Projektbetriebe dennoch gangbare Lösungen gefunden. Meist stand der Umbau auch in Zusammenhang mit einer Reduktion des Arbeitsaufwands. Alternativen zur Milchviehhaltung im Berggebiet bietet die Umstellung auf Mutterkuh-, Schaf-, oder Geflügelhaltung, oder auch auf Gemüse- oder Kräuterbau.

Wie waren Ihre bisherigen Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen Praxis und Wissenschaft und worin sehen Sie die größten Vorteile dieser Zusammenarbeit?
Im Projekt arbeiten Partnerinnen und Partner aus der Praxis, Interessensvertretungen, Wissenschaft und Forschung sehr eng und gut zusammen! Dies zeitig sich an der hohen Qualität der erarbeiteten Inhalte und der plangemäßen Abwicklung der Projektvorhaben. An dieser Stelle möchte ich mich als Projektkoordinatorin insbesondere bei den Landwirtinnen und Landwirten der beteiligten Projektbetriebe für die Bereitschaft zur Mitarbeit bedanken. Mit Unterstützung durch die Forschungseinrichtungen leisten sie einen sehr wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Milchviehhaltung im Berggebiet, auch über die Grenzen Österreichs hinaus.

Links und weiterführende Informationen zum Projekt finden Sie in der PROJEKTDATENBANK des Netzwerks Zukunftsraum Land.